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Straßenbahn: Die „Diva“ ist wieder zu Hause

In Staßfurt steht eine nostalgische Straßenbahn, die vor über 60 Jahren noch durch Staßfurt rumpelte

Artikel vom 9. Oktober 2020

57 Jahre prägte die Straßenbahn das Bild in Staßfurt und den Nachbarorten Löderburg und Hecklingen. Ein Wagen aus dieser Zeit hat überlebt. Bevor er zurück in die Heimat kam, fuhr er in Magdeburg und stand las Kaffeewagen in einem Seniorenheim.

Es schaukelt, die Bimmel schellt, der Fahrer vorn trägt eine dunkelgraue Uniform. Auf der einen Seite befinden sich rote Doppelsitzer, Holztische stehen in der Mitte – Dieses Gefühl einer nostalgischen Fahrt kommt auf, wenn man im Salzlandkreis in eine Straßenbahn steigt. Sie steht still, aber erzählt Geschichte. Die Rede ist von einem historischen Triebwagen der „Bimmel“, die früher vor mehr als 100 Jahren durch Staßfurt, Löderburg und Hecklingen fuhr.

Wer heute vor dem Tor der Stadtwerke in Staßfurt steht, kommt an diesem Denkmal der Straßenbahngeschichte nicht vorbei. Denn der Triebwagen wurde erhalten. Er war der einzige Neuwagen, der in der ehemaligen DDR in Staßfurt angeschafft wurde. Dazu kam es 1955. Sein Standort im Athensleber Weg heute ist kein Zufall. Dort war früher das Depot der Straßenbahnen.

Straßenbahnlinie

Die Linie fuhr von Löderburg über Neu-Staßfurt, Staßfurt bis Hecklingen und umgekehrt. Möglich war das bis zum 31. Dezember 1957. Danach lösten Busse die Schienen und ihre Fahrzeuge ab. Der damals noch neue, heute dort wieder aufgestellte Wagen wurde zunächst nach Magdeburg verkauft. Die Reise seiner Einsätze legte weitere Stationen in Gera und Naumburg ein. Bis 2010 diente er als Treffpunkt. Denn er stand als Kaffeewagen in einem Seniorenheim. Seit einigen Jahren ist er aber wieder daheim in Staßfurt. Der ehemalige Chef der Stadtwerke Staßfurt sammelte vor zehn Jahren anlässlich seiner Verabschiedung in den Ruhestand Geld dafür, das historische Fahrzeug wieder im heimischen Bahnhof einfahren zu lassen. Mit Erfolg. Vor acht Jahren konnte der Triebwagen als Wahrzeichen der Straßenbahngeschichte in Staßfurt wieder der Öffentlichkeit übergeben werden.

Heute kümmern sich Mitglieder vom Geschichtsverein Staßfurt als Eigentümer um. den Erhalt. Es wurde kräftig investiert, Sponsoren unterstützten das Ansinnen. 2017 flossen 3500 Euro in die Restauration, in diesem Jahr weitere 1700 Euro Neue Farbe, neues Dach, ein aufpolierter Innenraum. Ein Gefühl für die Fahrt damals wird beim Betreten spürbar. Genau Auskunft zur Straßenbahngeschichte kann der Verein geben. Mitglieder haben sich Wissen aus einem Buch angeeignet. Es ist das einzige seiner Art, das zur Historie der Straßenbahn in Staßfurt existiert (siehe Infokasten), sagen sie und erzählen: Aus der Taufe gehoben wurde die Straßenbahn in Staßfurt vor über 100 Jahren. „Die Streckeneinweihung war im April 1900“, erzählt Vereinschef Rico Schäfer. Er weiß, dass die damalige Conti, also die Continentale Eisenbahn und Betriebsgesellschaft diesen damals neuen Weg der Beförderung ins Leben rief.

Straßenbahn wurde damals einfach erforderlich

Man müsse sich vorstellen, dass die Leute davor die Wege bis nach Löderburg und Hecklingen von Staßfurt aus mitunter hin und wieder zurück gelaufen sind, nach einem 10 bis 12stündigen Arbeitstag. Heute unvorstellbar, meint Schäfer. In Staßfurt habe es Arbeit gegeben: Salzbergbau, chemische und Kaliindustrie dies habe für einen enormen Zulauf aus der Bevölkerung gesorgt. Und das habe die Straßenbahn zur damaligen Zeit einfach erforderlich gemacht. Man habe einfach etwas gebraucht, dass die Leute schnell transportiert, fügt Karl Michael Beyer hinzu. Auch er ist der Historie seiner Heimat auf der Spur und weiß allerhand zu berichten, wird er auf die Straßenbahn in Staßfurt angesprochen. Er erzählt, dass die Strecke insgesamt 10,5 Kilometer maß. Über 57 Jahre waren auf diesem Weg alles in allem 20 Triebwagen und 14 Beiwagen im Einsatz. Auch drei Lokomotiven fuhren. „Diese wurden wegen ihrer ‚Schnauze‘ auch Krokodile genannt und, dienten dem Güterverkehr“, berichtet Beyer weiter und zeigt Fotos. Mit dem Gefährt, das zu sehen ist, wurden Werkstoffe und Rückstände von Fabriken zum Bahnhof transportiert.

Die Chlorodont-Schaukel

Viele weitere Bilder erinnern. Zu sehen ist, warum die Straßenbahn in Staßfurt einst einen Spitzname verpasst wurde. „Sie hieß Chlorodont-Schaukel, nach der Zahnpasta“, schmunzelt Beyer. Dann erzählt er noch, dass ein entsprechendes Werbeschild oben auf dem Wagen angebracht war. Und die Bahn habe ziemlich gewackelt, ergänzt Schäfer. Das Straßennetz sei Ende der 1950er Jahre mit verworfenen Schienen ziemlich veraltet gewesen, auch wegen eingetretener Senkungen im Bergbau. Das soll dann schließlich auch der Grund dafür gewesen sein, dass nach 1957 Schluss war. Dann fuhren ausschließlich Busse.

„Viele Staßfurter waren gegen die Abschaffung der Bahn“, so Schäfer. „Aber der Rat des Kreises hatte das 1957 so beschlossen“, weißer. Erinnerungen werden wach. Bis heute hat nur ein Wagen, nämlich der vor dem Tor der Stadtwerke, überlebt. „Alles andere wurde nach 1957 verkauft, verschrottet und verrottet“, kennt Schäfer sich aus. Denn alles andere aus dem ursprünglichen Bestand des Fuhrparks ist nicht mehr da. Auch aus diesem Grund sind die Freunde der Staßfurter Heimatgeschichte Feuer und Flamme für ihre noch existierende Bahn, die für sie nicht nur einfach ein stillgelegter Triebwagen ist „Sie ist für uns ein Hobby und eine alte Diva, die gepflegt werden muss“, sagt einer der Männer in der Runde und die anderen lachen. Sie freuen sich und öffnen die Türen zu ihrem Schmuckstück. So gibt es seit einigen Jahren einen Advent in der Straßenbahn und andere Anlässe, die eine Besichtigung möglich machen.

Straßenbahn: Die „Diva“ 09.10.2020